TB 82: Wenn der Bund versagt, müssen die Kommunen ran!
Gemeinden auf die Sprünge helfen: Schluss mit Tierzirkus
Schon seit Jahren setzen sich die Bundesländer (bisher erfolglos) gegenüber der Bundesregierung dafür ein, bestimmte Wildtierarten in reisenden Zirkusunternehmen zu verbieten und damit dem Beispiel vieler EU-Mitgliedsstaaten (siehe TIERBEFREIUNG 79) zu folgen.
Am 18. Februar 2014 hatte ich die Möglichkeit, im Rahmen einer Podiumsdiskussion einige Vorurteile auszuräumen bzw. Missverständnisse aufzuklären, was „die Ohnmacht“ der Lokalherren betrifft, wenn Zirkusse in ihrer Kommune gastieren.
Einerseits war es erfreulich zu erfahren, dass in Halle das Veterinäramt seine Aufgabe offensichtlich ernst nimmt, andererseits gibt es auch hier Informationslücken, was die Möglichkeiten betrifft, einen (Tier-)Zirkus in die Schranken zu weisen.
Weil es vermutlich in vielen Städten und Gemeinden so ist, dass Amtsveterinäre und Ordnungsämter denken, ihnen seien komplett die Hände gebunden, möchte ich in diesem Beitrag darauf eingehen und Aktivist_innen dazu ermutigen, das Gespräch mit den Ansprechpartnern ihrer Stadt / Gemeinde zu suchen.
Einige Missverständnisse

Podiumsdiskussion in Halle (von links nach rechts): Frank von der „Initiative Wildtierfreier Zirkus Halle“, Zoo-Direktor Andreas Jakob, Amtsveterinär Thomas Ludewig, Tierarzt Jens Lübben, tierbefreier e.V.-Vertreterin Viola Kaesmacher, Ann-Sophie von der „Initiative Wildtierfreier Zirkus Halle“) zum Video
Es herrschte beispielsweise die Meinung, man könne einem Zirkus das Betteln mit Tieren nicht verbieten, wenn es nicht schon von der Heimatgemeinde untersagt worden sei.
Aufgrund der vorab gezeigten Filmaufnahmen „Stop Circus Suffering“ von Animals Defenders International (ADI) meinte der anwesende Amtsveterinär Thomas Ludewig, dass solche Zustände (brutalste Prügelattacken auf Tiere) in Deutschland undenkbar seien, weil die Amtsveterinäre sich die Tierhaltung und die Tiere anschauen würden und so etwas auffallen würde.
Da Dressur jedoch nur mit Gewaltanwendung funktioniert, konnte er dazu bewogen werden, sich zukünftig auch die Dressuren anzusehen. Der Zoo-Vertreter Andreas Jakob ist der Meinung, dass der Mensch das Tier zwar dominieren müsse, dass Gewalt aber nicht den gewünschten Erfolg bringe. Man könne beispielsweise einem Zebra keine Schreckhaftigkeit ausprügeln.
Auch sei er fasziniert, was im Zirkus alles machbar ist: „Wenn ich sehe, dass wir mit unseren Krokodilen nichts, aber auch gar nichts anfangen können… Es gibt Leute, die können mit großen Krokodilen umgehen – fasziniert mich – muss ich ganz ehrlich sagen.“
Einen interessanten Aspekt brachte Veterinär Jens Lübben ein. Das Thema Transporte von Gastspielort zu Gastspielort wird ja sehr gerne heruntergespielt, als sei es für die Tiere eine willkommene Abwechslung, und da die Tiere auch offensichtlich nicht gestresst wirken, sei dieses Problem keines für die Tiere.
Lübben meint, es gibt Studien über die Cortisolspiegel-Messungen von Zirkus-Löwen und -Elefanten, die aussagen würden, dass kein vermehrtes Cortisol messbar sei. Er zweifelt allerdings daran, dass das noch eine Aussagekraft habe ob die Tiere Transporte als Stress empfinden oder nicht, da Zirkustiere unter Dauerstress litten und somit die Nebenniere so geschädigt sei, dass sie nicht mehr in der Lage ist, zusätzlich Cortisol zu produzieren.
Ob es Messungen gibt, bei denen Zirkustiere noch einen „Stress Peak“ haben können, konnte er bisher nicht herausfinden.
Pachtverträge mit Zirkusunternehmen
Wie zuvor schon ihre hessische Kollegin Dr. Madeleine Martin hat die baden-württembergische Landestierschutzbeauftragte Dr. Cornelie Jäger Mitte Oktober Empfehlungen für Städte und Gemeinden präsentiert.
Hier geht es darum, wie Pachtverträge mit Zirkusunternehmen gestaltbar sind, um zum Beispiel Wildtiere auszuschließen. „Leider ist es für die Kommunen nicht so ganz einfach zu steuern, welche Zirkusse man gerne gastieren lassen möchte und welche nicht. Es gibt inzwischen mehrere Gerichtsurteile, die den Entscheidungsspielraum der Städte und Gemeinden einengen.“
Deswegen hat die Stabsstelle der Landesbeauftragten für Tierschutz nun Empfehlungen formuliert, wie und unter welchen Bedingungen die Verpachtung kommunaler Flächen an Zirkusse nach tierschutzrechtlich sinnvollen Kriterien gestaltet werden kann. Die Erarbeitung entsprechender Hinweise war im Frühjahr auch durch den Landesbeirat für Tierschutz befürwortet worden.
Zuvor wurde am 6. November 2012 beim Offenen Tierschutztreffen der Grünen im Landtag, unter anderem von einer Vertreterin von animal 2ooo, der Hinweis gegeben, ein solches Papier zu erstellen, um damit den Gemeinden Rechtssicherheit zu bieten, wenn sie tier- oder wildtierführende Zirkusse nicht länger dulden wollen. Der tierschutzpolitische Sprecher der Grünen, Reinhold Pix, Ex-Jäger und Neu-Vegetarier, scheint seine Sache ernst zu nehmen und treibt den Prozess für zumindest wildtierfreie Zirkusse voran.
Aus dem Protokoll des Treffens: „Wildtiere, insbesondere Giraffen, Rhinozerosse, Bären, Primaten, Elefanten und Nilpferde haben in Zirkussen nichts zu suchen. Doch wird im Rahmen des Dritten Änderungsgesetzes zum Bundestierschutzgesetz offenbar weder ein Verbot bestimmter Wildtierarten in Zirkussen zustande kommen noch eine praktikable Ermächtigungsgrundlage für eine entsprechende Rechtsverordnung geschaffen. Vielmehr wird wohl die bereits bestehende Ermächtigungsgrundlage nach § 13 Absatz 3 drastisch verschlechtert.“
Während des Treffens wurde dazu aufgefordert, das Land Baden-Württemberg möge beschließen, landeseigene Flächen nicht mehr den Zirkusunternehmen zu überlassen, wenn diese Unternehmen Tiere wildlebender Arten mitführen. Zudem solle es die Gemeinden auffordern, mit den in ihrem Eigentum stehenden Flächen gleichermaßen zu verfahren. An private Flächeneigner könne man wohl nur einen rechtlich unverbindlichen Appell richten, der allerdings – je nach Art der Begründung und Veröffentlichung – einen gewissen Druck schafft und die notwendige öffentliche Diskussion in Gang bringt.
Die Landestierschutzbeauftragte wies bei dem Treffen übrigens noch auf die Schwierigkeiten hin, den Zirkusunternehmen die Missstände nachzuweisen, zumal das neue Tierschutzgesetz sogar noch eine Verschlechterung bedeute.
Tiere können den Haltern nur noch bei Nachweis von Schmerz, der nicht gelindert werden kann, entzogen werden. Dies sei quasi nicht praktikabel und darüber hinaus auch rechtlich bedenklich. Auch das Zirkuszentralregister löse die Probleme nicht, da es nur den Vollzug bestehender Vorschriften verbessern kann, nicht aber anhaltende Konflikte löst. Bislang lägen hier praktisch keine Einträge vor.
Gemeinden: Yes, they can!
Die Gemeinde als Trägerin einer öffentlichen Einrichtung ist berechtigt, eine Einrichtung wieder zu schließen, falls sie nicht zur Erfüllung einer gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabe erforderlich ist.
Damit kann sie (natürlich!) auch einen für Zirkusveranstaltungen gewidmeten Fest- oder Messplatz vollständig oder teilweise (zum Beispiel für Zirkusunternehmen mit Wildtieren oder aber für alle Tiere) wieder schließen. Sie ist allerdings an das Willkürverbot und an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden; sie benötigt für die nachträgliche (teilweise) Entwidmung einen sachlichen Grund.
Die Gemeinde kann zum Beispiel anordnen, dass nur (noch) eine einzige Veranstaltung pro Halbjahr ermöglicht werden soll, weil das Bedürfnis des örtlichen Publikums nach Unterhaltung durch Zirkusdarbietungen entsprechend begrenzt sei.
Der Gemeinde steht auch frei, einen für Volksfestveranstaltungen genutzten Platz von bestimmten Arten der Darbietungen auszuschließen, auch wenn die jeweilige Darbietung noch nicht die Schwelle zur Rechtswidrigkeit überschreitet und ihr Verbot deshalb einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der jeweiligen Anbieter darstellt (hier fällt mir spontan das unsägliche sogenannte Ponyreiten auf beinahe jedem Volksfest ein).
Empfehlungen für Gemeinden in Kurzform
1.Über bereits vorliegende Benutzungsanträge muss noch nach den bisherigen Benutzungsgrundsätzen entschieden werden.
2.Eine Nicht- oder Nichtmehr-Zulassung muss sachlich begründet werden.
3.Sind solch vernünftige Gemeinwohlerwägungen gegeben, bestehen ausreichend sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung gegenüber Anbietern anderer Leistungen, zum Beispiel gegenüber Zirkussen ohne Tieren.
4.Zur Sicherheit empfiehlt sich für die nachträgliche Teilentwidmung ein förmlicher Satzungsbeschluss.
5.Wenn Gemeinden Zirkusse mit Wildtieren weiter zulassen wollen, besteht die Möglichkeit, dass sie die Zulassung von der Hinterlegung einer Kaution für eventuell entstehende Schäden abhängig machen.
Unter folgendem Link können die Empfehlungen, ausgearbeitet von Dr. Christoph Maisack, abgerufen werden: www.mlr.baden-wuerttemberg.de/mlr/slt/Zirkusse_mit_Wildtieren.pdf
Worum es mir in diesem Artikel geht, ist einerseits zu zeigen, dass es sich lohnt, zu versuchen, parteipolitisch Einfluss zu nehmen (ohne das Offene Tierschutztreffen der Grünen wäre dieses Papier vermutlich nicht entstanden; allerdings war der Zeitpunkt natürlich sehr günstig – die Grünen hatten sich für die Bundestagswahl „Tierschutz“ auf die Fahnen geschrieben und Baden-Württemberg wollte wohl mit dem ersten Grünen Ministerpräsidenten überhaupt eine Art Vorreiterrolle einnehmen).
Andererseits möchte ich an Aktive appellieren, in ihrer Gemeinde Aufklärungsarbeit zu leisten. Fast jeder Zirkus hat „Dreck am Stecken“ und im vorigen Gastspielort eine Menge Ärger und Kosten hinterlassen. In der Regel drücken die Verantwortlichen alle Augen zu und hoffen, der Zirkus möge schnell weiterziehen und übernehmen auch gerne nicht bezahlte Rechnungen, nur damit es keinen weiteren Stress gibt.
Will man „seinen“ Gemeindevertretern etwas auf die Sprünge helfen, könnte man fragen, ob sie schon mal etwas vom Althoff-Skandal im Rhein-Main-Gebiet gehört haben (siehe TIERBEFREIUNG 52) oder von Zirkus Afrika, der Meerane wochenlang in Atem gehalten hat (siehe TIERBEFREIUNG 74).
Es herrscht eine große Unsicherheit, wie ein Verbot umsetzbar sein könnte. Wie unterschiedlich einzelne Gemeinden Auftrittserlaubnisse von Zirkussen mit Tieren auf ihrem Boden handhaben, war schon in TIERBEFREIUNG 73 Thema.
Viele Gemeindevertreter glauben, sie können halt nichts machen – doch sie können!
Viola Kaesmacher
Symbolbild Zebra: pixabay
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